# SPDX-FileCopyrightText: 2021 Matthias Kirschner # # SPDX-License-Identifier: CC-BY-SA-3.0-DE # ADA & ZANGEMANN ## Ein Märchen über Software, Skateboards und Himbeereis Es war einmal ein kleines Mädchen namens Ada. Ihre Familie war so arm, dass all ihr Erspartes in eine Keksdose passte. Sie hatten kein Geld, um in einer richtigen Wohnung zu leben. Stattdessen wohnten Ada, ihre Mutter und ihr kleiner Bruder Alan in einer Hütte in der Nähe eines Schrottplatzes am Rande der Stadt. Weit weg, am anderen Ende der Stadt, lebte ein berühmter Erfinder namens Zangemann. Der war unermesslich reich. Kein Papierblatt dieser Welt war groß genug, um seinen Kontostand mit all den Ziffern und Nullen darauf auszudrucken. Er wohnte in einem riesigen Haus mit Schwimmbad und Wasserrutsche, vielen Treppen, Türmen, Hunderten von Fenstern und so vielen Zimmern, dass er sich regelmäßig selbst darin verirrte. Zangemanns Anwesen befand sich hoch oben auf einem Berg. Von dort konnte er über die ganze Stadt blicken. Schon als Kind hatten Zangemann Computer fasziniert. Da waren es noch riesengroße Maschinen mit vielen Kabeln und lauten Lüftern. In der Schule träumte der kleine Zangemann oft davon, was er mit den Computern alles machen würde, wenn sie nur etwas kleiner wären – klein genug, um sie in die verschiedensten Geräte einzubauen. Als Erstes würde er einen Computer in sein Skateboard einbauen, damit es beim Fahren coole Geräusche machen könnte – wie eine Feuerwehrsirene oder ein Raketenstart. Und er würde Eismaschinen erfinden! Der Computer könnte die tollsten Sorten mischen und das Eis automatisch verkaufen. Die Maschinen würden an jeder Straßenecke stehen, und er könnte sich sein Lieblingseis holen, wann immer er Lust hätte. Außerdem würde er einen Aufräumroboter und eine Bausteine-Sortiermaschine bauen, damit sein Zimmer immer schön aufgeräumt wäre. Zangemann hatte jeden Tag neue Ideen. Er konnte an nichts anderes denken. Und tatsächlich: Je größer Zangemann wurde, desto kleiner wurden die Computer. Als er schließlich die Schule verließ, waren sie so klein, dass sie in seine Hosentasche passten. Die kleinsten fanden sogar auf seiner Fingerkuppe Platz. »Endlich kann ich all meine Ideen in die Tat umsetzen!«, jubelte Zangemann und machte sich ans Werk. Er baute die kleinen Computer in alle möglichen Geräte ein, um sie noch praktischer zu machen. Und die Geräte verkaufte er dann. Erwachsene wie Kinder liebten seine Erfindungen. Die Kinder wollten ein Zangemann-Skateboard haben und immer das neueste Geräusch dazu, um es auf dem Schulhof ihren Freunden zu zeigen. Viele besaßen auch seine praktischen Lautsprecher. Denen musste man nur ein Lied nennen – schon wurde es abgespielt. Und wer noch Taschengeld übrig hatte, holte sich am Nachmittag ein automatisch gemixtes Eis aus der Original-Zangemann-Eis-Mixmaschine. Es war wie Zauberei – aber all das regelten die kleinen Computer, die Zangemann in die Geräte eingebaut hatte. Auch an Adas Schule waren diese Erfindungen sehr beliebt und viele ihrer Freunde fuhren mit den coolen Skateboards herum. Ada war oft traurig, weil ihre Mutter ihr all die tollen Dinge nicht kaufen konnte: kein Skateboard, keine Lautsprecher, kein Eis. Zum Glück wohnte Ada direkt neben dem Schrottplatz. Dort gab es kaputte Geräte und rostige Teile, aus denen sie tolle Dinge zusammenbaute: eine Seifenkiste, in der sie und ihr kleiner Bruder Alan die Hügel runtersausten, ein Windrad oder furchterregende Schrottmonster, die sie dann zusammen bekämpften. Sie fand auch viele nützliche Gegenstände – ein altes Handy zum Beispiel. Der Bildschirm hatte zwar einen Sprung, aber den könnte sie reparieren, und auf dem Schrottplatz gab es zwar kein Internet, aber das würde sie woanders finden. Es machte Ada so viel Spaß, auf dem Schrottplatz zu basteln und kaputte Dinge zu reparieren, dass sie die Skateboards und das Eis darüber ganz vergaß. Weil alle seine Erfindungen kauften, war Zangemann bald der reichste Mensch auf der ganzen Welt. Von seinem vielen Geld kaufte er einen riesigen goldenen Computer mit einer Tastatur aus Edelsteinen und stellte ihn im größten Saal seiner Villa auf. Von hier aus steuerte er über das Internet all die kleinen Computer, die in seine Erfindungen eingebaut waren. Er brauchte nur die richtigen Tasten am goldenen Computer zu drücken, und sofort gaben alle Eismaschinen in der Stadt nur noch Vanilleeis aus. Wenn Zangemann wollte, dass die Menschen Schokoladeneis aßen, drückte er die Tastenkombination für Schokoladeneis. Gab er den Befehl für Zitroneneis, dann produzierten die Maschinen nur noch Zitroneneis. Zangemann liebte seine Erfindungen und war jedes Mal begeistert, wie fantastisch seine Maschinen funktionierten. Manchmal waren die Menschen enttäuscht, wenn es nicht ihre Lieblingssorte gab, aber was sollten sie tun? Immerhin gab es an jeder Straßenecke Eis. Es machte Zangemann viel Spaß, die funkelnden Tasten zu drücken und den Menschen beim Eisessen zuzusehen. Jeden Tag verbrachte er auf diese Weise viele Stunden vor seinem goldenen Computer. Und immer wieder schaute er mit einem langen Fernrohr auf die Stadt herab und beobachtete, wie zuverlässig seine Erfindungen seine Befehle ausführten. Wenn er nicht an seinem goldenen Computer saß, baute Zangemann seine kleinen Computer in immer neue Geräte ein und verkaufte sie dann. Er baute Waschmaschinen, die eine Nachricht aufs Handy schickten, wenn die Wäsche fertig war, Staubsauger, die fröhliche Musik abspielten, statt laut zu dröhnen, Lampen, die auf ein Fingerschnipsen an- und ausgingen, und Autos, die einem beim Fahren erzählten, wo der nächste Supermarkt war. Bald war in fast allen Geräten ein Computer von Zangemann eingebaut. Nicht alle Erfindungen waren so praktisch, wie sie auf den ersten Blick schienen, aber die Menschen kauften alles von ihm. Es gehörte einfach dazu. Alle wollten die Geräte von Zangemann haben, dem größten Erfinder der Welt. Eines Tages dachte Zangemann: »Heute will ich mir meine Erfindungen mal ganz aus der Nähe anschauen!« Er legte sein großes Fernrohr weg und stieg voller Vorfreude die vielen Treppen hinab in die Stadt, um sich an seinen tollen Geräten zu erfreuen. »Vielleicht bringt mich ein kleiner Ausflug sogar auf ein paar neue Ideen. Denn wenn ich ganz ehrlich bin, waren meine letzten Erfindungen nicht mehr ganz so praktisch wie die ersten ...«, überlegte Zangemann. »Aber meine Eismaschinen sind und bleiben unübertroffen«, dachte er gleich darauf nicht ohne Stolz, als er an einer Gruppe von Menschen vorbeikam, die allesamt Kokoseis schleckten – die Sorte des Tages. Er war ganz in seine Gedanken vertieft, als ihm plötzlich – RUMS! – mit voller Wucht etwas gegen das Schienbein krachte. Zangemann jaulte auf und sah sich um. Vor ihm stand ein Kind – total erschrocken und mit einem Original-Zangemann-Skateboard unterm Arm. »Entschuldigung, das wollte ich nicht«, stammelte es, aber Zangemann hörte nicht zu. Wütend humpelte Zangemann davon. Da ertönte plötzlich laute Musik. So etwas Grauenhaftes hatte er noch nie gehört. Er schaute sich um und sah, dass die Musik aus einem Lautsprecher kam, den er selbst entwickelt hatte. Ein Kind auf der anderen Straßenseite hielt ihn in der Hand. Dem Kind schien die Musik zu gefallen, aber Zangemann bekam davon fürchterliche Kopfschmerzen, und seine Laune wurde noch schlechter. So hatte er sich seinen Spaziergang nicht vorgestellt! Zangemann ärgerte sich wahnsinnig über die Kinder: Wie konnten sie seine Erfindungen nur so falsch verwenden! Er konnte nicht schlafen und setzte sich mitten in der Nacht an seinen goldenen Computer. Von dort gab er all den Minicomputern in den Skateboards den Befehl, dass sie nicht mehr auf Gehwegen fahren durften. Den kleinen Computern in den Lautsprechern befahl er, Musik nur noch in Zimmerlautstärke abzuspielen – mit Ausnahme seiner Lieblingsmusik, die er gleich anstellte, um bessere Laune zu bekommen. Am nächsten Tag herrschte an Adas Schule große Aufregung. Auf dem Schulweg hatten die Skateboards nicht mehr funktioniert. Die Räder standen einfach still. Und dann die Lautsprecher – die Kinder konnten sie nicht mehr aufdrehen. Was war bloß los? Obwohl sie keins dieser Dinge besaß, wunderte sich Ada darüber, dass die Skateboards und die Lautsprecher plötzlich nicht mehr wie vorher funktionierten. Aber sie hatte keine Zeit, um groß darüber nachzudenken, denn sie tüftelte schon wieder. Aus den Einzelteilen von drei kaputten Fahrrädern baute sie ein neues Fahrrad zusammen. Das schenkte sie ihrer Mutter, damit sie das Geld für das Busticket zur Arbeit sparen konnte. Ihrem Bruder baute Ada einen Lautsprecher, damit er abends zum Einschlafen, wenn ihre Mutter noch nicht von der Arbeit zurück war, schöne Geschichten hören konnte. Nach ein paar Tagen war der erste Schreck an Adas Schule vergessen. Die Skateboards fuhren zwar nicht mehr auf dem Gehweg, aber abgesehen davon funktionierten sie noch. Und so drehten die Kinder jetzt auf dem Schulhof ihre Kreise und hörten dabei leise Musik. Nur eine komische pompöse Marschmusik ertönte weiter in unveränderter Lautstärke – ziemlich rätselhaft. Adas Lieblingstag war der Mittwoch. Jeden Mittwoch holte ihre Mutter sie mit Alan von der Schule ab und sie gingen zusammen in die Bücherei. Ada zog es immer gleich in die Technik-Ecke. Dort gab es Bücher mit Bauplänen, Anleitungen für Experimente, und sie fand Erklärungen, wie verschiedene Geräte funktionierten. In der Bücherei konnte Ada auch mit dem Handy ins Internet gehen. Sie merkte schnell, dass es dort jede Menge zu entdecken gab. Viele Menschen teilten im Internet ihre Ideen und Reparaturtipps, um anderen zu helfen. An einem dieser Nachmittage lernte Ada zwei neue Wörter kennen: Hardware und Software. Hardware war ein Wort für etwas, das Ada eigentlich schon kannte, nämlich für die elektronischen Geräte, an denen sie herumbastelte. Diese Geräte konnte sie in die Hand nehmen und an ihnen herumschrauben. Ganz neu war für Ada das Wort Software. Sie fand schnell heraus, dass damit die Anweisungen gemeint waren, mit denen man Geräte oder Computer steuern kann. In manchen Büchern wurden diese Anweisungen Programme oder Code genannt. Mit so einem Computerprogramm konnte man zum Beispiel einem Lautsprecher sagen, welches Lied abgespielt werden sollte und wie laut. Das Beste an Adas neuer Entdeckung war, dass man an der Software genauso selbst herumbasteln konnte wie an der Hardware. An der Hardware wurde mit Hammer, Bohrer und Schrauben herumgewerkelt. Software baute man, indem man die Befehle für die Hardware einfach nacheinander aufschrieb. Dafür gab es sogar eine eigene Sprache – die Programmiersprache. Mit Software könnte Ada ihre Erfindungen noch praktischer machen. Sie wollte unbedingt die Programmiersprache lernen! In den folgenden Wochen verbrachte Ada ihre Nachmittage in der Bücherei. Sie fand Bücher und Webseiten, die erklärten, wie die Programmiersprache und Code funktionierten. Es kam Ada ein bisschen so vor, als würde sie eine Geheimsprache lernen – oder in der Schule Vokabeln pauken. Ada büffelte. Ihr erstes Programm sollte etwas Einfaches tun: »Mach, dass diese Lampe blinkt!« Natürlich wollte sie gleich ausprobieren, ob das auch wirklich funktionierte! Auf dem Schrottplatz verband sie ihr Handy mit einer kleinen LED-Lampe. Dann tippte sie die Programmzeilen, die sie sich notiert hatte, in ihr Handy … Es passierte nichts. Ada überlegte, wo der Fehler liegen könnte. Sie nahm ein paar kleine Änderungen vor, versuchte es erneut und – »Yeeess!« Das Lämpchen begann zu blinken. An, aus, an, aus. Ada schaute staunend auf die LED. Sie hatte ihr erstes eigenes Programm geschrieben! Ada war total begeistert. Sie stellte sich vor, was sie damit für tolle Sachen anstellen konnte. Wenn sie den richtigen Programmcode eingab, dann machten ihre Erfindungen genau das, was sie wollte. Es war nicht so einfach, aber nach einigen Wochen hatte Ada ein richtig praktisches Programm geschrieben: Alans Lautsprecher schaltete sich jetzt nach einer halben Stunde automatisch aus, wenn Alan eingeschlafen war. Ada hatte auch schon eine Idee für ein nächstes Programm, eine größere Sache, ein richtiges Projekt. Sie würde wahrscheinlich die ganzen Sommerferien dafür brauchen … Und sie konnte es kaum erwarten! Zangemann hatte seit dem schrecklichen Spaziergang jede Nacht ganz furchtbar schlecht geschlafen. Wenn er abends zu Bett ging, plagten ihn große Sorgen: »Oh nein, meine wunderbaren Erfindungen! Es kann doch nicht sein, dass alle einfach so mit ihnen herumspielen. Was da alles passieren kann! Ich habe doch alles bis ins Kleinste durchdacht.« Zangemann grübelte und grübelte und wälzte sich die ganze Nacht schlaflos in seinem Bett hin und her. Als er morgens mit völlig zergrübelter Stirn aufstand, fasste Zangemann einen Entschluss. So konnte es nicht weitergehen! Er setzte sich an seinen goldenen Computer und schrieb ein Programm nach dem anderen. In diesen Programmen legte er haargenau fest, was seine Erfindungen tun sollten und was keinesfalls passieren durfte. Schluss mit dem Chaos! Als er fertig war, schickte er all die neuen Programme von seinem goldenen Computer auf die Geräte der Menschen. Seinen Lautsprechern befahl Zangemann, in seiner Hörweite immer nur seine Lieblingsmusik zu spielen, und die Eismaschinen sollten am Nachmittag kein Eis mehr verkaufen. Schließlich könnte seine teure Hose beim Spazierengehen einen Eisfleck bekommen. Den ganzen Tag saß er am Computer und tippte und tippte und tippte … Die Sommerferien waren schon halb vorbei. Ada stand vor ihrem großen Projekt und kratzte sich am Kopf. Aus alten Bauteilen hatte sie ein Skateboard gebaut und einen Motor angeschlossen, der die Räder ins Rollen brachte. Mit einem Skateboard mit Motor könnte Ada nach der Schule noch schneller zur Bücherei oder zum Schrottplatz sausen. Superpraktisch! Doch es funktionierte nicht. Wenn sie sich draufstellte und den Los!-Knopf drückte, bewegten sich die Räder zwar – aber viel zu schnell. Ada fiel beim Start jedes Mal vom Brett. Was sie auch ausprobierte, sie bekam es einfach nicht hin. Nachdem Ada zum hundertsten Mal auf ihr Hinterteil gefallen war, ging sie in die Bücherei. Dort fand sie eigentlich immer Antworten auf ihre Fragen. Und tatsächlich: Im Internet stieß sie auf ein Programm, das jemand für seinen elektrischen Roller geschrieben hatte. Auch der sollte langsam anfahren. Ada lud das Programm auf ihr Handy herunter. Zurück auf dem Schrottplatz, übernahm sie einige Programmzeilen für ihr Skateboard-Programm. Sie passte ein paar Dinge an und tüftelte weiter. Mehrere misslungene Versuche später, am letzten Ferientag, stellte Ada sich noch einmal auf das Brett und drückte den Los!-Knopf: Das Skateboard setzte sich langsam in Bewegung. Dann wurde es schneller. Es klappte! Sie bremste. Es klappte! Ada stieß einen Jubelschrei aus und machte einen Ausflug in den Park. Als Ada nach den Ferien mit ihrem Skateboard zur Schule fuhr, staunten die anderen Kinder nicht schlecht. In der großen Pause war Ada von neugierigen Mitschülerinnen und Mitschülern umringt. »Warum kannst du mit deinem Skateboard auf dem Gehweg fahren?«, fragten sie. Ada überlegte. »Ich glaube, es liegt nicht an euren Skateboards, sondern an der Software darin. Wahrscheinlich wurde in die Software einprogrammiert, dass die Skateboards nicht auf dem Gehweg fahren dürfen. Aber das kann man ändern!« Am Abend probierte Ada das gleich am Skateboard von ihrem Mitschüler Toni aus. Sie arbeitete heimlich bis spät in die Nacht und am nächsten Tag konnte Toni wieder auf dem Gehweg fahren. Dafür konnte sein Skateboard jetzt leider nicht mehr die Geräusche machen, die seine Eltern von Zangemann gekauft hatten. Stattdessen ertönte alle zehn Minuten ein komisches Geräusch, das sich wie ein lang gezogenes Rülpsen anhörte. Ada wusste, dass in Programmen immer wieder solche kleinen Fehler auftauchen können. Tonis rülpsendes Skateboard war aber eigentlich ziemlich lustig. Immer mehr Kinder besuchten Ada jetzt nachmittags auf dem Schrottplatz, und sie half ihnen, die Programme in ihren Skateboards umzuschreiben. Einige waren ganz begeistert von dieser neuen Entdeckung. Unglaublich, was man mit Programmcode so machen konnte! Sie wollten von Ada alles über die Programmiersprache lernen. Und schon bald fuhren sie mit ihren Skateboards wieder überall, wo sie wollten. Doch damit nicht genug! Mit der Software konnten sie ihren Skateboards neue coole Eigenschaften verpassen. Marie brachte bunte LED-Lämpchen an ihrem Brett an, die in unterschiedlichen Farben leuchteten, je nach Geschwindigkeit. Und Konrad baute alte Propeller an sein Skateboard, die für extra Antrieb sorgten. Ada, Toni, Marie und Konrad verbrachten viele Nachmittage auf dem Schrottplatz. Sie hatten sich sogar eine richtige Werkstatt eingerichtet, in der sie stundenlang an ihren Programmen feilten. Dazu hörten sie Musik aus den Lautsprechern, die Ada für Alan gebaut hatte. »Die Lautsprecher von deinem Bruder sind viel lauter als unsere«, bemerkte Toni, der damit beschäftigt war, einen Geschwindigkeitsmesser an seinem Helm anzubringen. »Das liegt bestimmt auch an der Software«, sagte Marie. Zusammen veränderten sie nun auch die Software für die Lautsprecher. Dann drehten sie die Musik so laut wie möglich auf und tanzten wild miteinander. Jeden Tag schmiedeten Ada und ihre Freunde Pläne für den Nachmittag. Aus einer kaputten Eismaschine bauten sie eine neue, die Eis in allen erdenklichen Formen und Farben herstellen konnte: Sie aßen eckiges Eis, herzförmiges Eis, sogar pyramidenförmiges Eis, Erdbeer-, Himbeer- und Regenbogeneis, und alles mit Streuseln und Schokoladenüberzug – viel besser als die Sorten aus den Zangemann-Automaten. Manchmal konnten sie sogar Erwachsenen helfen, die Probleme mit ihren Computern hatten. Toni programmierte die Bügelmaschine seines Vaters so um, dass sie auch wieder Krawatten bügeln konnte. Zangemann hasste Krawatten wie die Pest und hatte es den Geräten verboten. Für die Busfahrerin bauten sie aus einem Computer und Schläuchen ein Bewässerungssystem – damit ihre Pflanzen im Sommer tagsüber nicht verdursteten. Und dem Hausmeister der Schule halfen sie dabei, seinen Staubsauger so umzubauen, dass dieser Spielsachen automatisch erkannte und nicht mehr wegsaugte. Manches bauten sie nur zum Spaß. Die Furzmaschine im Stuhl von ihrer Mathe lehrerin Frau Gernet zum Beispiel. Immer wenn sich die Lehrerin hinsetzte, ertönte ein kleiner Furz. Frau Gernet schimpfte dann, aber Ada war sich sicher, dass sie jedes Mal insgeheim auch ein bisschen schmunzeln musste. Eines Tages bemerkte Zangemann, dass manche Computer nicht mehr seinen Programmierbefehlen gehorchten. Da bekam er einen fürchterlichen Schreck und tobte vor Wut. Sofort rief er den Präsidenten an und brüllte mit bebender Stimme: »Jemand schreibt die Programme in meinen Geräten um. Das geht nicht, das sind schließlich meine Erfindungen. Und es ist auch viel zu gefährlich, wenn alle mit den Computern machen können, was sie wollen. Dagegen muss es ein Gesetz geben!« Der Präsident wollte Zangemann nicht verärgern. Alle Computer der Regierung waren von Zangemann programmiert worden. Ohne diese Computer würden sie das Land nicht mehr regieren können. Also erließen sie im Parlament das Gesetz, so wie Zangemann es wollte: »Alle Computer, die nicht auf Zangemann hören, sind verboten! Wer Zangemanns Geräte umprogrammiert, muss 500.000 Goldstücke Strafe zahlen!« Als Ada und ihre Freunde davon hörten, wurden sie richtig wütend. »Das ist so ungerecht. Unsere Skateboards haben wir selbst umgebaut und umprogrammiert. Sie sind jetzt viel besser. Das lassen wir uns von niemandem wegnehmen!« Vor einem ihrer umgebauten Eisautomaten versammelten sie sich und besprachen die Lage. Es war klar, dass etwas gegen das neue Gesetz unternommen werden musste, und sie schmiedeten einen Plan … Am nächsten Tag gingen sie nicht in die Schule. Stattdessen fuhren sie mit ihren Skateboards und mit großen Protestschildern unterm Arm zum Parlament und setzten sich davor. An einigen Schildern hatten sie am Abend zuvor LED-Lämpchen angebracht, die jetzt hell blinkten. Ihre Lautsprecher hatten sie zusammengeschaltet und so war in jeder Straße zu hören, was sie sagten. Einige Passanten blieben stehen und fragten die Kinder, wofür sie demonstrierten. »Für Software-Freiheit!«, antworteten sie im Chor und erzählten den Erwachsenen ihre Geschichte. Beeindruckt nickten die Erwachsenen, und auch der Präsident schielte neugierig auf ihre Plakate, als er das Gebäude betrat. Auch an den nächsten Tagen setzten sich Ada und ihre Freunde wieder vor das Parlament. Diesmal mit Unterstützung: Einige Mitschülerinnen und Mitschüler, denen Ada ihre Skateboards umprogrammiert hatte, waren ebenfalls gekommen. Auch Tonis Vater und weitere Erwachsene wollten den Protest unterstützen. Die Geräte der Kinder fanden sie sehr praktisch. Mit jedem Tag wurden es mehr und mehr Kinder und Erwachsene, die protestierten. Die Busfahrerin, der sie mit den Pflanzen geholfen hatten, kam mit ihrem Bus vorgefahren. Sie hupte laut, um noch mehr Menschen auf die Demo aufmerksam zu machen. Der Hausmeister brachte ein paar Freunde mit. Und Tonis Vater kam mit seinen Kollegen, die alle automatisch gebügelte Krawatten trugen. Selbst die Mathelehrerin kam. Die Menge wurde immer größer, und nach einigen Wochen gab es nicht nur in Adas Stadt Demonstrationen – nein, überall im Land wurde jetzt demonstriert. Ada protestierte jede Woche vor dem Parlament – auch bei strömendem Regen. Als der Präsident an den triefend nassen Kindern vorbeikam, konnte er nicht anders, als ihre Sturheit zu bewundern. Er fragte Ada: »Warum sitzt ihr jeden Tag hier? Was wollt ihr erreichen?« Ada antwortete: »Wir wollen selbst bestimmen, was wir mit unseren Computern machen dürfen und was nicht«, und ihre Freunde und Freundinnen riefen im Chor: »Ohne Code ist alles doof! Ohne Code ist alles doof!« Der Präsident blickte in die entschlossenen Gesichter der Kinder. Wenn er ganz ehrlich war, würde er auch gerne selbst bestimmen, was die Regierung mit ihren Computern machen durfte und was nicht. Aber er verstand nichts von Computern und Code, deshalb hatten sie das immer Zangemann überlassen. Nachdenklich betrat der Präsident das Parlament. Am nächsten Tag lud er Ada und ihre Freunde zu sich ein. »Wir wollen auch selbst über unsere Software bestimmen können. Dafür muss die Regierung aber von Zangemann unabhängig sein. Könnt ihr mir erzählen, was ihr über Computerprogramme wisst?«, fragte er. Begeistert erklärten sie ihm, wie Software funktioniert und was man alles damit machen kann. Der Präsident staunte nicht schlecht. Mit diesem neuen Wissen würde seine Regierung ihre eigene Software von nun an so gestalten können, wie sie es wollte – ganz ohne Zangemann. Sofort ließ er seine Berater rufen. In einer großen Runde besprachen sie mit den Kindern, was sie an der Software gern alles ändern und verbessern würden. An diesem Abend gingen die Kinder stolz und zufrieden nach Hause. Endlich passierte etwas! Ihr langer Protest hatte sich gelohnt. Am nächsten Vormittag klingelte im Regierungsgebäude sehr früh das Telefon. Es war Zangemann. Wütender denn je redete er auf den Präsidenten ein. »Ohne mich werden die Computer der Regierung nicht mehr funktionieren«, drohte er. Doch der Präsident fasste sich kurz und legte schnell auf. Das Telefon klingelte noch viele Male an diesem Tag, aber niemand nahm ab. Der Präsident saß zusammen mit Ada, Toni, Marie, Konrad und den Expertinnen der Regierung in einer Besprechung. Während der folgenden Tage diskutierten sie von morgens bis spät abends und entwarfen erste eigene Programme für die Computer der Regierung. Von Zangemanns Anrufen wurden sie nicht mehr gestört. Toni hatte die gute Idee, die Telefone umzuprogrammieren. Wenn Zangemann anrief, hörte er immer nur eine automatische Ansage: »Die Regierung möchte nur noch Software einsetzen, die sie frei verwenden, verstehen, verbreiten und verbessern kann. Danke für Ihren Anruf.« Nach vielen Wochen war es endlich so weit: Das Parlament schaffte das alte Zangemann-Gesetz ab! Stattdessen wurde verkündet: »Alle Menschen dürfen ihre Computer selbst programmieren, solange sie sich dabei an die anderen Gesetze halten.« Außerdem wurde ein neues Schulfach eingeführt: Computer und Programmieren. An diesem Abend feierten alle gemeinsam ein großes Fest: Ada, Alan, die Kinder aus der Schule und ihre Eltern, der Präsident, Frau Gernet, die Busfahrerin, der Hausmeister – alle waren sie dabei. Sie schmückten die Straßen, hörten laut Musik und aßen zur Feier des Tages Eis – so viel sie wollten und in allen erdenklichen Formen und Farben. Während die anderen bis spät in die Nacht weiterfeierten, schlichen sich Ada, Toni, Marie und Konrad irgendwann davon und machten sich auf zu ihrer Werkstatt. Sie hatten schon viele Ideen für neue Erfindungen. Und wollten gleich damit anfangen. Und Zangemann? Von ihm hat man nicht mehr viel gehört. Vielleicht tobt er noch immer in seiner riesigen Villa und sitzt verärgert vor seinem goldenen Computer. Vielleicht traut er sich nicht mehr auf die Straße und klebt alle Fenster seines Hauses zu, damit er sich nicht darüber ärgern muss, was mit seinen Erfindungen gemacht wird. Aber vielleicht blickt er auch durch sein Fernrohr hinaus in die Welt und sieht, was die Kinder dort jeden Tag alles Neues erfinden. Vielleicht erinnert er sich dann daran, wie viel Spaß es ihm selbst früher gemacht hat, zu tüfteln und zu experimentieren. Und vielleicht, ganz vielleicht, schleckt er dabei ein pyramidenförmiges Himbeereis mit Regenbogenstreuseln. ENDE